Freitag, 5. Januar 2007

Erste Schritte

Ganz spontan, eigentlich von heute auf morgen, habe ich mich dann entschieden, mal zu checken wie es mit meinem Fortbewegungsapparat bestellt ist. Ich habe überraschenderweise für Donnerstag einen freien Tag bekommen, also lag es doch nahe mal eine Etappe in meiner Nähe anzugehen. Ich wollte eigentlich von Winnenden nach Esslingen "pilgern", das war jedoch logistisch nicht machbar, da meine Frau morgens einen Termin hatte und mich nur in das nähere Endersbach kutschieren konnte/wollte. Auch gut, dann ist der Weg nicht mehr ganz so lang, dachte ich mir, aber trotzdem alle Optionen noch verfügbar.
Also musste ich in Endersbach erst mal den Einstieg zum Jakobsweg suchen, gar nicht so einfach, es hat aber doch geklappt...in Endersbach gibt es interessanterweise gleich zwei Pilgervarianten Richtung Neckartailfingen, wo sich die Wege dann wieder vereinigen.

Ich habe mich dann erst mal für die klassische Möglichkeit Richtung Esslingen entschieden, mit der Möglichkeit dort via S-Bahn nach Plochingen überzusetzen, um dort die andere Variante in gegengesetzter Richtung zurückzuwandern, falls ich dann noch "gute Beine" haben sollte, wie die Radler so gerne berichten...

Dann konnte es also endlich losgehen...der Wetterbericht hatte ja Regen angesagt, aber so viel kann ich schon verraten, nass wurde die Kleidung nur vom Schwitzen. Eigentlich ein idealer Tag für den Anfang, 7-11°C und fast windstill. Natürlich hatte ich zu Beginn immer den Gedanken, ob ich das wohl wie geplant durchziehen kann, oder ob der innere Schweinehund sich doch meldet, mit der Bitte um Unterlassung solch irrsinniger Aktionen. Überhaupt die Gedanken die auf dem Weg an die Oberfläche gespült werden...im Nachhinein muss ich sagen, dass ich keinerlei negative Gedanken an die Arbeit verschwendet habe, was sonst eigentlich immer der Fall ist...ich habe den Job komplett ausgeblendet, das ist mir noch nie so schnell gelungen...mein Rat als Arzt, wenn ich einer wäre, an den manisch depressiven Patienten: "Laufen Sie nach Santiago, und lassen sie sich danach einen neuen Termin geben, falls Sie dann noch einen benötigen sollten..."
Sackgasse? Hohlweg? Pfad der Erleuchtung? Für sachdienstliche Hinweise dankt der Autor...

Also weiter im Text, bzw. mit der Etappe: Zu den Wegmarkierungen muss ich sagen, dass sie einfach vorbildlich sind: Man kann sich praktisch nicht verlaufen, sofern man Richtung Santiago bzw. Rottenburg unterwegs ist, auf umgekehrtem Weg sieht das ganz anders aus, aber dazu später mehr. Jedenfalls sind regelmäßig Hinweise an Laternen oder (im Wald) an Bäumen, die signalisieren das man sich auf dem richtigen Pfad befindet (Metapher: bildlich gesprochen).
Bei jeder Weggabelung findet man sich sofort zurecht, selbst wenn es länger geradeaus geht, findet man Support durch die blau-gelben Helfer, dickes Lob an die Initiatoren des Projektes, diese Teilabschnitte optimal auszustatten!
Über Kernen-Stetten, wo ich mir gar nicht mehr vorkomme, als würde ich mich in Ba-Wü befinden, eher in den Weinanbaugebieten in Rheinland-Pfalz oder Hessen, gelange ich dann auf den Anstieg auf den Schurwald, knapp 200 Höhenmeter sind zu bewältigen, aber die Frisur sitzt, sorry, der Körper spielt (noch) mit. Keine zwei Stunden habe ich benötigt, um schon die Außenbereiche von Esslingen, übrigens mein Geburtsort, zu erreichen. Hier kommt mir der einzige negative Gedanke des Tages, was wäre wohl, wenn ich jetzt kollabiere, überfahren werde o. ä. Würde dann in meiner Biografie zu lesen sein "baerendreck, geb. 1964 in Esslingen, gest. 2007 in Esslingen"? Dabei habe ich doch keinerlei Verbindung mit Esslingen, die Leute würden wohl sagen: "Des war a rächter Esslenger" um mal in meiner Mundart zu sprechen.
Die Stadt kann ich schon sehen, aber wo ist die vom Wanderführer versprochene Burg? Ich kann sie nicht erkennen...zu meiner Entrüstung geht es nochmal steil bergan, der knackigste
Hügel des Tages. Nach Bewältigung dieses alpinen Hindernisses geht es wieder abwärts, und da ist sie...ich bin ganz überrascht, da gibt es ja eine begehbare Stadtmauer, und wir sind immer nach Rothenburg o. d. Tauber, Dinkelsbühl oder Nördlingen gefahren, um sowas zu bestaunen, das hätten wir auch billiger erreichen können.
Schnell finde ich mich in der Fussgängerzone wieder wo der Konsumterror, den ich heute ignorieren wollte, in vollem Gange ist: (Ar)Schlecker, Media-Markt, Karstadt und Konsorten grüßen mich von den Fassaden, die schicke Shopping-Mall lasse ich rechts liegen...schnell zum Bahnhof, Ticket ziehen, und schon werde ich von einem angetrunkenen Tippelbruder angepöbelt, welcher sich strategisch günstig an den Fahrscheinautomaten positioniert hatte...na offensichtlich hat er sich die letzten Gehirnzellen für diesen Schachzug aufgespart. Ich gebe nix!
Das vereinbart sich zwar nicht mit dem karitativem Credo der Pilger, aber es wäre sinnlos, den Alkoholkonsum dieses Mitmenschen zu unterstützen...also nichts wie weg vom realen Alltag
gescheiterter Existenzen.
Mit der S-Bahn erreiche ich Plochingen, wo ich etwas orientierungslos umherirre, nach der Suche der schon so obligatorischen Muschel, ich kann sie aber nirgends entdecken, so muss ich mich von meinem Instinkt, wieder bergauf den Schurwald in anderer Richtung zu überqueren, leiten lassen. Alle Wege führen nach Rom, so kann ich nach geraumer Zeit wieder einen Wegweiser erblicken...nun stellt sich für mich das Problem, dass es in umgekehrter Richtung gar nicht so einfach ist, die richtige Ausfahrt zu nehmen. Also verfranse ich mich mehrmals, komme aber wie durch Zufall immer wieder an Wegweisern vorbei, nur um bald darauf wieder planlos zu sein. Aber irgendwie schaffe ich es wieder nach Endersbach, nicht ohne etwas Kultur "on the way" zu geniessen.

Achtung! Kunst...

Ich bin stolz, glücklich aber auch gerädert...was sagt der Schrittzähler? 31 km, Respekt...ich weiss zwar nicht wie genau das Gerät kalibriert ist, lt. Wanderführer sind 24 km angegeben, aber ich bin ja ein paar mal vom rechten Weg abgekommen.
Die Befürchtung einen tierischen Muskelkater zu bekommen hat sich natürlich bewahrheitet
...an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Also derjenige der den ganzen Weg bis Santiago zurücklegt hat am Ende sicherlich einen Waschbrettbauch, die Hosen passen an den Oberschenkel, Waden und and den 4 (oder waren es 5) Buchstaben nicht mehr.

Insgesamt war es für mich eine sehr positive Erfahrung, irgendwie spirituell, eins mit der Natur zu sein, erschreckend, wenn man mal ein kurzes Stück entlang der Straße zurücklegen muss. Also mir ist nach mehr...Demnächst in diesem Theater.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hoi Bärendreck, das hört sich doch schon mal ganz gut an für den Anfang!

> Leider wird es wohl nie was werden, den Weg zu gehen...

Einfach abwarten, das wird sich von alleine zeigen.

Ultreia!